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Interview mit Johannes Twielemeier: Die fundamentale Eigenschaft der Fotografie ...

Design Kunst
Johannes Twielemeier, Eingang, Krematorium Aachen (aus Krematorien)'

»Die fundamentale Eigenschaft der Fotografie, das Anhalten der Zeit, hat für mich nichts von ihrer Faszination verloren.«

Interview mit Johannes Twielemeier


Es ist eine ungewöhnliche Verbindung künstlerischer Ausdrucksmittel, die Johannes Twielemeiers Arbeit prägt: Der gelernte Steinmetz arbeitet nicht nur mit Stein, sondern auch als Fotograf. Den Fotografen Twielemeier beschäftigen die Spuren, die von Menschen in Zeit und Raum hinterlassen werden, die Bruchstellen im urbanen Raum, die sich vor allem und immer wieder in architektonischen Zeugnissen aufspüren lassen.

Seine Fotoserien tragen Titel wie Krematorien, Orte ohne Wiederkehr oder Niemandsland und zeigen stille, meist menschenleere Szenen, die erst auf den zweiten Blick komplexe Zusammenhänge offenbaren. Sylvia Böhmer vergleicht Twielemeiers Arbeitsweise mit »der eines Archäologen oder Entdeckers auf fremdem Terrain, bemüht Spuren einstigen Lebens zu sichern, ohne diese Chiffren und Zeichen einem finalen Plan zu unterwerfen.«

Für seine Serie Orte ohne Wiederkehr etwa hat der Künstler die Spuren einer enormen Umsiedlungsaktion mitten in Deutschland festgehalten: Seit 1984 wird das Braunkohletagebaugebiet Garzweiler zwischen Aachen und Düsseldorf erweitert. Bis zum Jahr 2040 wird auf einer Gesamtfläche von ca. 120 Quadratkilometern eines der größten Braunkohletagebaugebiete Europas entstehen – für das über 7500 Menschen in 13 Ortschaften umgesiedelt werden. Eine ganze Region wird in eine Geisterlandschaft aus leerstehenden Häusern und verwaisten Straßen verwandelt. Twielemeiers Fotografien, die von 2002 bis 2009 entstanden, zeigen Szenen dieser vom Verschwinden bedrohten Region.

Orte ohne Wiederkehr ist zur Zeit im Museum für Sepulkralkultur in Kassel zu sehen.

Johannes Twielemeier – Orte ohne Wiederkehr
Museum für Sepulkralkultur, Kassel
13. Mai – 12. September 2010

Johannes Twielemeier, Plakatsäule, Otzenrath, Jan. 2006 (aus Orte ohne Wiederkehr)'


INTERVIEW

Simone Kraft: Johannes Twielemeier, Ihre Fotoserien heißen Krematorien, Orte ohne Wiederkehr, Niemandsland und kreisen um Themen wie Vergänglichkeit, Tod, Zerstörung, Leere – zumindest assoziiert man dies mit den Titeln. Was ist das besondere Interesse Ihrer Fotografien?

Johannes Twielemeier: Seit Jahren interessieren mich Orte, die, aus verschiedenen Gründen, von ihren Bewohnern verlassen wurden. Mich interessieren die Spuren, die Menschen dabei zurücklassen und ich mag die Magie, die Räume dieser Art entfalten können. Mir gefällt diese nutzlose, verbrauchte Architektur, die, auf sich selbst zurückgeworfen, ein Eigenleben entwickelt.
Im Fall des Krematorium-Projekts fand ich es sehr spannend, einen Blick in Räume zu werfen, die normalerweise nicht ohne Weiteres zugänglich sind. Da musste ich auch viel Überzeugungsarbeit leisten, um zu meinen Bildern zu kommen und war am Ende sprachlos über die Beschaffenheit der Räume, die ich zu Gesicht bekommen hatte.

Simone Kraft: Diese Spuren zeigen sich in Ihren Fotografien vor allem auch als Spuren von architektonischen Elementen. Woher kommt dieser Fokus auf die Architektur?

Johannes Twielemeier: Als Fotograf interessieren mich Gebäude / Bauwerke vor allem dann, wenn die Zeit nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen ist. Ich richte meinen Blick auch eher auf eine Architektur, bei der die Zweckmäßigkeit im Vordergrund steht und nicht die Ästhetik. Deshalb bin ich sehr gerne in Industriegebieten unterwegs, ich mag die Bruchstellen, die man hier finden kann, am Rand von großen oder kleinen Städten …

Simone Kraft: Wo und wie finden Sie Ihre Motive?

Johannes Twielemeier: Ich bewege mich mit meinen fotografischen Arbeiten in der Dokumentarfotografie, aber ich hoffe doch, das meine Arbeiten über das rein Dokumentarische hinausgehen. Das große Thema, das sich seit Jahren durch meine Fotoarbeiten zieht, ist das unaufhaltsame Fließen der Zeit und das war schon in meinen allerersten Fotografien so. Das hat sich natürlich im Lauf der Jahre um andere Aspekte erweitert, aber die fundamentale Eigenschaft der Fotografie, das Anhalten der Zeit, hat für mich nichts von ihrer Faszination verloren.

Als ich vor Jahren mit dem Thema Krematorien in Deutschland begonnen habe, hat mich die Banalität und Zweckmäßigkeit dieser Räume angeregt, mich näher damit zu befassen, aber eigentlich bin ich in das erste Krematorium gefahren, um für meine Examensarbeit, eine Urne aus Stein, zu recherchieren, und daraus hat sich dann das Fotoprojekt entwickelt. Das Orte ohne Wiederkehr-Thema liegt fast vor meiner Haustür im Rheinland, auch deshalb konnte ich über einen Zeitraum von sieben Jahren immer wieder dort arbeiten.
Zur Zeit recherchiere ich für ein neues Projekt in Italien, darauf bin ich durch einen Beitrag im Radio aufmerksam geworden. So wie es aussieht, werde ich dieses Projekt mit einer selbstgebauten Camera obscura fotografieren, darauf freue ich mich besonders – back to the roots, sozusagen. Aber es gibt immer auch noch Tage, da nehme ich mir eine Kamera und flaniere ziellos durch eine Stadt oder einen Ort, an dem ich zufällig gerade bin, und lasse mich treiben, und wenn ich viel Glück habe, dann finden mich auch meine Motive, ohne dass ich nach ihnen suchen muss.

Simone Kraft: Vielleicht wollen Sie die ein oder andere Arbeit näher vorstellen?

Johannes Twielemeier: Da würde ich sehr gerne zwei Foto-Projekte vorstellen:

Zum einen meine aktuelle Orte ohne Wiederkehr-Serie, an der ich von 2002 bis 2009 gearbeitet habe und die gerade im Museum für Sepulkralkultur in Kassel gezeigt wird. Ich habe zum ersten Mal über einen so langen Zeitraum an einer Sache gearbeitet, aber die ganze Dimension dieser Abriss- und Umsiedlungsaktion im Braunkohletagebau Garzweiler ist ja auch immens: Ende der 1980er Jahre wurde damit begonnen und in ca. 15 Jahren werden 13 Ortschaften in einer dann über 120 Quadratkilometer großen Braunkohlegrube für immer verschwunden sein. Fast 8.000 Bewohner verlieren Haus und Hof und werden „umgesiedelt“, was ein sehr harmloses Wort für den totalen Verlust ihrer Heimat ist. Ich habe mich irgendwann auf eine absurde Art „zu Hause“ gefühlt in dieser Geisterlandschaft aus verlassenen Häusern und verwaisten Straßen und habe mich regelrecht an den Themen, die mich ja seit Jahren fotografisch interessieren, abgearbeitet. Das hat aber auch dazu geführt, das ich nach der Beendigung dieses Projektes das Gefühl hatte, mit dieser Art der Fotografie erst mal an einem Endpunkt angekommen zu sein. Das haben mir jetzt auch die Vorbereitungen zu der Ausstellung bestätigt. Allerdings fühle ich mich in dem Museum für Sepulkralkultur in Kassel sehr gut aufgehoben mit meiner Arbeit. Neben den Fotografien zeige ich auch eine Steinarbeit, die parallel zu den Fotos entstanden ist. Ein Museum, in dem alles zum Thema Tod und Sterben gesammelt wird ist ja kein schlechter Platz für eine Fotoausstellung über eine verschwindende Landschaft, oder ?

Dann würde ich gerne noch ein paar Worte zu meinem New York City-Serie sagen, die ist zwar schon vor 10 Jahren entstanden und war meine letzte Arbeit in s/w. Ich glaube, es gibt kaum eine Stadt, die so »durchfotografiert« ist wie New York. Als ich 1999 für drei Wochen dort war, habe ich natürlich auch all die Bilder von den Hochhausschluchten und dem hektischen Gewimmel der Menschen in meinem Kopf gehabt. Da ich keine Lust hatte, solche Bilder zu machen, bin ich fast nur in den Nebenstraßen und Hinterhöfen der touristisch eher nicht so besuchten Stadteile Queens, Brooklyn und Coney Island unterwegs gewesen. Meine einzige Kamera war eine auf einem Flohmarkt für 40$ gekaufte Kleinbildsucherkamera aus den 70er Jahren. Ich bin morgens aufgestanden und habe mich getreu dem Motto „Be open to what the streets may deliver“ treiben lassen und ein New York entdeckt, in dem es kaum ein Hochhaus und fast keine Menschen gibt. Das Zitat stammt übrigens aus dem wundervollen Bildband »End Time City« von Michael Ackerman, das ich damals in NY gekauft habe.

Simone Kraft: Sie haben es schon ein paar Mal angesprochen: Sie sind von Haus aus Steinmetz, arbeiten aber auch als Fotograf. Das ist eine eher unübliche Verbindung. Wie kommt es dazu? Warum die Entscheidung für die Kunst?

Johannes Twielemeier: Ich habe Mitte der 80er Jahre eine Ausbildung zum Steinmetz absolviert und danach einige Jahre als Steinmetz gearbeitet. Obwohl meine Lehrzeit nicht so besonders war, gab es doch auch Momente, in denen ich gespürt habe: Das ist es! Dabei hat mich schon damals das Thema Grabmal besonders interessiert, aber vor allem deshalb, weil mir die absolute Einfallslosigkeit und Öde auf den meisten Friedhöfen, die ich zu Gesicht bekommen habe, doch sehr verwundert hat. Wohin man auch schaute, gab es nur die immer gleichen inhaltslosen und sinnlosen Formen, zu einem großen Teil aus industrieller Fertigung, da hat der Steinmetz dann noch den Namen graviert und, wenn´s hoch kam, vielleicht noch ein Ornament. Dabei bietet ein Grabmal, wenn man es richtig zu Ende denkt, die Chance, etwas über die Person auszusagen, für die es gemacht worden ist. Dass sich dafür allerdings die wenigsten Steinmetzen interessiert haben, hat mich damals wie heute verwundert.
Ich habe dann durch Zufall von der Akademie für gestaltende Handwerke in Aachen erfahren und dort von 1994 bis 1997 ein Studium absolviert. Dabei war es nicht primär mein Ziel, die Steinmetzarbeit hinter mir zu lassen, um mich der Bildhauerei zuzuwenden, sondern ich wollte vor allem das Thema Grabmal in all seinen Möglichkeiten ausloten. Denn meine Vorstellung war, dass ich nach dem Studium eine kleine Werkstatt gründen wollte, die sich auf ganz besondere Grabzeichen spezialisiert. Nach einigen Umwegen ist das mittlerweile auch der Fall und seit 4 Jahren unterrichte ich als Dozent an dieser Akademie das Fach Plastisches Gestalten und seit diesem Jahr auch noch Fotografie. Ich bin 2 Tage in der Akademie beschäftigt und der Rest der Zeit verteilt sich auf meine Fotoprojekte und die Arbeit in meiner Werkstatt.

Simone Kraft: Wie unterscheidet sich die Steinmetzarbeit von der Bildhauerkunst?

Johannes Twielemeier: In der Regel stellt sich mir die Frage nach Steinmetzarbeit oder Bildhauerkunst überhaupt nicht, da ich immer auf einen konkreten Anlass hin tätig werde – und das ist in den meisten Fällen der Entwurf und die anschließende Anfertigung für ein Grabzeichen, das sich jemand für einen Verstorbenen wünscht. Es kommt natürlich vor, dass Menschen diese Arbeiten dann als Kunst bezeichnen, weil eben manchmal auch Dinge mitschwingen, die weit über das hinausgehen, was man üblicherweise mit einem Grabmal verbindet.

Simone Kraft: Beeinflussen sich die beiden Arbeitsweisen, Steinmetzarbeit und Fotografie, gegenseitig oder sind es zwei ganz unterschiedliche Bereiche?

Johannes Twielemeier: Es gibt schon wechselseitige Einflüsse. Ich arbeite zum Beispiel gerade an einem Ornament für eine Stele, für die die Pflanzenfotografien von Karl Blossfeldt die Initialzündung waren. Vor einigen Jahren habe ich ein Fotoprojekt über diese kleinen Porträts von Verstorbenen gemacht, die besonders im Süden oder in Frankreich und Belgien auf Grabmälern zu finden sind. In der Regel sind das bedruckte Porzellantafeln, und wenn die einige Jahrzehnte der Witterung ausgesetzt waren, werden sie selber zum Memento Mori. Im vergangenen Winter habe ich in den Gärten von Schloss Versailles fotografiert. Ich hatte erfahren, das dort alle Marmorskulpturen der Witterung wegen von Planen verhüllt werden und das fand ich sehr reizvoll.
Vor zwei Jahren habe ich Fotografien über die Lehmhochhäuser im Jemen gesehen und die haben dann anschließend zu einer Umsetzung in Stein geführt.

Simone Kraft: Wer oder was beeinflusst Ihre Arbeit? Gibt es Vorbilder?

Johannes Twielemeier: Es gab und gibt natürlich Künstler, die meine Arbeit auf die ein oder andere Art beeinflusst haben. Aber es kann auch ein Buch, ein Film oder Musik sein. Wenn ich Namen nennen müsste, dann sicher zuerst Walker Evans, Stephen Shore, Lewis Baltz und Robert Adams, deren Arbeiten faszinieren mich seit Jahren. Aber vor rund 25 Jahren war es Robert Franks Buch „Die Amerikaner“ das mich dazu brachte, mich näher mit der Fotografie zu befassen. Vor einiger Zeit habe ich Joachim Brohm für mich entdeckt, seine Fotografien finde ich sehr spannend.
In der Bildhauerei schätze ich die Arbeiten von Karl Prantl und Ulrich Rückriem.

Simone Kraft: Was ist Ihrer Meinung nach charakteristisch für Ihre Arbeiten?

Johannes Twielemeier: Für meine Steinarbeiten ganz sicher die reduzierte und klare Formensprache, ich übe mich seit Jahren in der Kunst des Weglassens. In meiner Fotografie ist es die fast immer zurückgenommene Farbigkeit in Verbindung mit einem präzisen und durchdachten Bildaufbau Teil meines Bildprogramms.

Johannes Twielemeier, herzlichen Dank für das Interview!


Abbildungen: © www.johannestwielemeier.de

Quelle: deconarch.com

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