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Die Neue Galerie Kassel ist zurück im komplett sanierten Gebäude

Projekte (d)

 

Umfangreiche Umbau- und Sanierungsarbeiten hatten die Sammlung der Neuen Galerie Kassel für fünf Jahre ins Depot verbannt. Im November 2011 ist sie in ihr Stammhaus an der Schönen Aussicht oberhalb der Karlsaue zurückgekehrt. Das vielseitige Spektrum der Bestände – von der Malerei des beginnenden 19. Jahrhunderts über die Klassische Moderne bis zu jüngsten documenta-Ankäufen – präsentiert sich jetzt in einem komplett modernisierten Gebäude auf größerer Fläche und in neuem Licht. Für besondere Wahrnehmungsqualitäten sorgt ein hoher Tageslichtanteil im Gebäude.



Genau genommen ist der Bau der Neuen Galerie Kassel eine Kopie. 1877 wurde sie nach Plänen von Heinrich Dehn-Rotfelser als »Königliche Gemäldegalerie« für die Sammlung des Landgrafen Wilhelm VIII. von Hessen Kassel fertiggestellt. Für seine Pläne hatte Dehn-Rotfelser bei der Alten Pinakothek München Anleihen genommen und deren Dimensionen für den Kasseler Bau verkleinert. Das Ergebnis war ein zweistöckiges neoklassizistisches Gebäude mit einem langgestreckten Mittelbau zwischen zwei Richtung Südosten vorspringenden Eckpavillons. Zwischen den Vorsprüngen spannten sich im Erdgeschoss eine Wandelhalle und im Obergeschoss eine Loggia. Im Gebäudeinneren lagen an der Längsachse des Baus aufgereiht große Ausstellungsräume, die im ersten Geschoss als Oberlichtsäle ausgeführt waren. Um die Säle herum, entlang der Fassade, reihten sich kleinere Räume und Kabinette mit Seitenbelichtung aneinander. Erschlossen wurde die Gemäldegalerie über ein Vestibül im nordöstlichen Eckpavillon.



Ändern sollte sich dies erst, als nach schweren Kriegsschäden im Jahre 1965 Auf- und Umbaumaßnahmen begannen. Antiken-, Gemälde- und graphische Sammlung hatten inzwischen ein neues Zuhause im Schloss Wilhelmshöhe gefunden, und Kassel hatte sich entschieden, in der »Alten Galerie« eine »Neue Galerie« mit deutlicherer Ausrichtung auf moderne und zeitgenössische Kunst zu etablieren. Nach der Neuöffnung des Hauses im Jahr 1976 bot der quasi komplett neu errichtete nordöstliche Eckpavillon circa 500 Quadratmeter stützenfreie Ausstellungsfläche und die Besucher gelangten nun über eine in den Mittelbau verlegte Haupttreppe zu den Kunstwerken.

Als Staab Architekten Berlin im Jahr 2005 mit ihren Planungen für die Grundinstandsetzung der Neuen Galerie begannen, sahen sie die für das Haus so charakteristische Enfilade der Oberlichtsäle durch das Treppenhaus im Mittelbau gestört. Es war ihnen ein wichtiges Anliegen, die ursprüngliche Raumflucht wieder herzurichten und so verlegten sie die Haupterschließung zurück in den nordöstlichen Teil des Gebäudes. Der neue Eingang hat allerdings nichts mehr mit der historischen Kombination aus Vestibül und Haupttreppe gemein. In seiner neuen Gestalt schafft er eine räumliche Überschneidung der verschiedenen Geschosse. Zwei diagonal verschränkte Lufträume verknüpfen Ober-, Erd- und Untergeschoss. Oberlichter und Wanddurchbrüche sorgen für einen lichten und offenen Raumeindruck mit außergewöhnlichen Sichtachsen.



Unterstützt wird die großzügige und einladende Atmosphäre des Eingangsbereichs durch eine differenzierte Lichtlösung. Während druckvolles brillantes Licht aus Downlights die drei Ebenen des Foyers zusammenführt, laden einzelne in warmweißer Lichtfarbe erhellte Zonen zum Verweilen ein. Die Kasse und den Shopbereich überspannt ein großes Lichtdeckenfeld, das die vorhandenen Tageslichtöffnungen zitiert und den zentralen Anlaufpunkt für Besucher deutlich markiert.

Die Diskussionen darüber, unter welchem Lichtspektrum welche Kunst idealerweise präsentiert wird, sind nicht neu. Wenn Alte Meister bei Kerzen- oder Petroleumlicht gemalt haben, wie authentisch transportieren dann moderne Lichtquellen ihre Intentionen? Tageslicht im Museum bietet in diesem Zusammenhang großen Luxus. Es ist nicht nur anzunehmen, dass es bei der Entstehung der meisten Werke vorhanden war, sondern es bringt auch hohe visuelle Qualitäten mit sich, zum Beispiel hinsichtlich der Farbwiedergabe. Eine Herausforderung stellt Tageslicht im Museum allerdings aus konservatorischer Sicht dar.

Den für die Neue Galerie Kassel realisierten Tageslichtlösungen gelingt es, die Vorzüge des natürlichen Lichts für die Wahrnehmung von Kunst und Raum zu nutzen und gleichzeitig den Schutz der Exponate vor schädigenden Strahlungsanteilen sicherzustellen.

Eine Prämisse bei der Planung der Lichtdecken für die fünf Oberlichtsäle im ersten Geschoss lautete, das natürliche Licht nicht auf einen völlig statischen, leblosen Level zu regulieren, sondern seine Dynamik im Innenbereich erlebbar zu machen. Durch die geschickte Auswahl und Kombination von Entblendungs-, Verdunklungs-, und Streuvorrichtungen kann der Galeriebesucher durch den Deckenaufbau hindurch schemenhaft den Himmel und vorbeiziehende Wolken ahnen.

Oberhalb der raumseitigen Staubdecke liegen Lichtbänder, die durch hochwirksame Reflektorlichtleisten eine gleichmäßige Ausleuchtung des Raumes und der Wände bewirken. Während des Tages werden sie allerdings lediglich genutzt, um im Bedarfsfall das Tageslichtangebot zu ergänzen. Eine Lichtsteuerung, die an die zentrale Gebäudesteuerung angebunden ist, stimmt das Kunstlicht permanent auf das Tageslichtangebot ab und regelt – für den Betrachter unmerklich – den Lichtstrom der Leuchten. Zusätzlich sind in die Lichtdecke Auslasspunkte für Strahler integriert, die je nach Ausstellungskonzeption einzelne Exponate hervorheben können.

Völlig abwesend ist das natürliche Licht in den zentralen Ausstellungssälen im Erdgeschoss. Einer von ihnen ist quasi das künstlerische Herz der Neuen Galerie, denn der dem Haus eng verbundene Josef Beuys hat ihn 1976 persönlich eingerichtet. Besonderes Merkmal des Beuys-Raumes ist sein historisches Deckengewölbe. Regelmäßig an einer Stromschiene positionierte Strahler hellen die einzelnen Deckendome zwischen den Bögen auf. Diese reflektieren das Licht diffus in den Raum zurück. Durch diese indirekte Lösung entsteht eine sehr milde, weiche Lichtstimmung im Raum, gleichzeitig betont sie seine besondere architektonische Ausprägung.

Aufgegriffen wird diese Gestaltungsidee in den beiden angrenzen Sälen. Im Vorraum, in dem über Beuys künstlerisches Schaffen informiert wird, und in einem nachgelagerten Saal, in dem sich ein documenta-Werk von Ulrike Grossarth auf den Beuys-Raum bezieht, gab es kein originales Gewölbe. Um trotzdem eine formale Verbindung mit dem Beuys-Raum herzustellen, wurden Zwischendecken mit großen rechteckigen, tonnenartigen Ausschnitten eingezogen. Beleuchtet werden sie mit indirektem Licht aus Lichtvouten. Ergänzend dazu stehen Strahlerauslässe zur Verfügung, um optionale Lichtakzente zu setzen.

Im Nordwesten flankiert eine Raumabfolge aus fünf Kabinetten die drei zentralen Ausstellungssäle im Erdgeschoss. Die etwa je 20 Quadratmeter großen Räume werden von Kuppeln überspannt, in deren Scheitelpunkt ein flächiges, rundes Lichtelement abgependelt ist. Diese Sonderleuchte greift die Idee einer Lichtdecke auf. Nach unten schließt eine Spannlichtfolie den flachen Leuchtenkörper ab, nach oben erhellen die freistrahlenden Leuchtmittel die Decken. Die in den Kabinetten gezeigten Gemälde erhalten durch die direkt/indirekte Abstrahlung eine gleichmäßige Ausleuchtung.

Die meisten Ausstellungsräume der Neuen Galerie werden durch eine deckenintegrierte Lichtlösung erhellt. In regelmäßigem Abstand zu den Wänden zeichnet ein in die Raumdecke eingelassener Rücksprung die Raumkontur nach. In den Kanal wurden mehrere Funktionen der Haustechnik integriert. So erfolgt über ihn die Lüftung und er nimmt Blitzleuchten und Signalgeber zur Sicherung der Kunstwerke auf, auch die Leuchten finden hier ihren Platz. Diese Lösung hält den Deckenspiegel von Installationen völlig frei und macht die ausgestellten Exponate und ihre Besucher zu alleinigen Akteuren zwischen den weißen Raumbegrenzungsflächen. In dem Kanal befinden sich Linear-Wallwasher und eine Stromschiene. Während erstere absolut homogen die Wände fluten, kann die Stromschiene bei Bedarf zusätzliche Einzelleuchten aufnehmen.

Deutlich vergrößert wurde durch die Sanierung und Neugestaltung der Galerie auch die Ausstellungsfläche im Untergeschoss. In diesem Bereich präsentieren sich Grafiken und Fotos. Ihre blendfreie und schonende Ausleuchtung übernehmen in die Decke integrierte, frei strahlende Lichtleisten und Einbaurichtstrahler. Organisiert sind die Leuchten in regelmäßig angeordneten Deckenfeldern, in denen auch die Klimatechnik und eine Stromschiene für zusätzliche Strahler ihren Platz finden. Diese Konfiguration sorgt nicht nur für ein ruhiges Deckenbild, das die reduzierte Gestaltung der Ausstellungsräume möglichst wenig beeinträchtigt, sondern sie greift in abstrakter Weise auch ein weiteres Mal das Stilmittel der Lichtdecke aus den oberen Geschossen auf.



Insgesamt etwa 3500 Quadratmeter Fläche umfasst die Neue Galerie Kassel nach ihrer Wiedereröffnung – und dies in einer Gliederung, welche die Kunstwerke aus drei Jahrhunderten nicht nur gebührend als Solitäre zeigt, sondern auch ihre Bezüge untereinander herausarbeitet. Für zwei Terrains allerdings hat die Museumsleitung die mutige Entscheidung getroffen, sie von Kunst völlig frei zu halten: Die Wandelhallen im Erd- und Obergeschoss beeindrucken einzig durch ihren wunderschönen Blick auf die Karlsaue und ihre architektonischen Eleganz. Rund 40 Meter reihen sich offene Gewölbeabfolgen hinter großen Bogenfenstern aneinander. Der Besucher hat die Wahl zwischen Flanieren mit weitem Blick oder introvertiertem Verweilen auf in Nischen angeordneten Sitzbänken. Wenn sich das reichlich vorhandene, mit starken Kontrasten spielende Tageslicht am Abend aus den Wandelhallen zurückzieht, dann tritt an seine Stelle ein mildes, zurückhaltendes Licht aus wandgebundenen Direkt-Indirekt-Leuchten und schafft eine warme, behagliche Atmosphäre.

Projekt: Neue Galerie Kassel, www.museum-kassel.de
Bauherr: Hessisches Baumanagement, Kassel
Fertigstellung: 2011
Architekt: Staab Architekten GmbH, www.staab-architekten.com
Lichtplanung: Licht Kunst Licht AG, www.lichtkunstlicht.com
Teamleitung: Dipl.-Ing. Nils von Leesen
Projektteam: Dipl.-Ing. Edwin Smida, Dipl.-Des. Thomas Möritz, Prof. Dipl.-Ing. Andreas Schulz
Fotos: Werner Huthmacher, www.werner-huthmacher.de


Mit der Showcase Factory wurde ein wirksames bauliches Zeichen nach innen wie auch nach außen gesetzt. Fotograf Olaf Mahlstedt

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Bildquelle: Brigida Gonzalez

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Der Anspruch einer ökologisch sensiblen Außenbeleuchtung setzte sich bei der Illuminierung des Magazinbaus mit seiner Fassade aus gefalteter Bronze fort. Zur strikten Vermeidung von Skyglow wurde in akribischer Abstimmung mit den Beteiligten und mittels nächtlicher Bemusterungen eine Streiflichtlösung mit Linealuce-Bodeneinbauleuchten erarbeitet. Foto: HG Esch

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