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Eine Fassade aus Null und Eins am King Abdulaziz Center von Snøhetta

Im Herzen der saudi-arabischen Ölfelder: Das King Abdulaziz Center for World Culture mit einer 30.260qm großen Edelstahlrohrfassade. Foto: seele/Diemo Schillack

Projekte (d)

Für das außergewöhnliche Projekt King Abdulaziz Center for World Culture im Herzen der saudi-arabischen Ölfelder setzte der Glasfassadenspezialist seele den Entwurf des Architekturbüros Snøhetta in eine Fassade komplett aus Edelstahlrohren um. Nur durch die Verzahnung von modernsten Informationstechniken und Softwarelösungen konnte das Projekt realisiert werden.

Die fünf Einzelgebäude des King Abdulaziz Center for World Culture sollten nach den Architektenplänen wie blanke »Kieselsteine« in der Sonne glänzen. Um das optisch zu realisieren, setzte der Fassadenbauspezialist seele auf eine Gebäudehülle als vollständige Freiformfläche mit tausenden räumlich gebogenen Edelstahlrohren über eine Gesamtfläche von 30.000 Quadratmeter. Teilweise ragen die spektakulären, dreidimensionalen Freiformen bis zu 90 Meter in den Himmel. Als Unterkonstruktion der Rohre diente eine wetterdichte, elementierte Gebäudehülle beplankt mit Stehfalzblechen zur Befestigung der Edelstahlrohre. Die Rohre sind auf sogenannten »Pins« befestigt, die die unterschiedlichen Bewegungen zwischen der Gebäudehülle und den Rohren ausgleichen. Um den hohen Qualitätsansprüchen und den besonderen Anforderungen aufgrund des Klimas gerecht zu werden, verlagerte seele den Großteil der Umsetzungsschritte in die Vorbereitungsphase gemäß Industrie 4.0: modernste 3D-Planung und Parametrisierung der Konstruktion, höchste Materialkompetenz und anspruchsvollste Logistik waren dabei von Bedeutung.

Edelstahlrohrfassade mit gebogenen und teils zusammengepressten Rohren für das Projekt King Abdulaziz Center for World Culture. Foto: seele/Michael Vogt

Um die organische Form des Gebäudes umzusetzen, ist jedes der ca. 70.000 Edelstahlrohre (mit einer Gesamtlänge von 360 Kilometer) aus 1.4462 Duplex-Stahl geometrisch einzigartig. Die Referenz für Geometrie, Konstruktion, Fertigung, Maßkontrolle und Montage ist die virtuelle Mittellinie im Rohr. Der Abstand zwischen den dreidimensional gebogenen Rohren beträgt exakt 10 Millimeter. Je nach späterer Einbauposition mussten die Rohre entsprechend gekennzeichnet, gebogen und teilweise für die Fensterverschattung zusätzlich in einem technisch komplexen Verfahren gequetscht werden. Für den Übergang vom Vollrohr zum gequetschten Rohr, den sogenannten »Squashed Tubes«, wurden »Transitions« an den entsprechenden Stellen eingesetzt. Um die geometrisch anspruchsvolle Gebäudehülle zu realisieren, war das Know-how von erfahrenen Ingenieuren von seele gefragt. Da eine derartige geschossüberspannende Edelstahlrohrfassade noch nie umgesetzt wurde – und kaum einer glaubte, dass es möglich sei – waren zahlreiche Tests sowie eine spezielle Programmierung der Freiformbiegemaschinen für das Biegen und Vermessen notwendig.

Die Hülle schmiegt sich ohne jegliche Stufen an das Gebäude. Foto: seele/Diemo Schillack

Bei anfänglichen Tests kam bei vier Versuchen ein korrekt gebogenes Rohr heraus. Um eine effiziente Fertigung der Rohre sicherzustellen, erkannte seele die Problematik und fand eine clevere Lösung um den Ausschuss gegen Null zu reduzieren: Mittels C#-Programmierung wurde eine spezielle Software für die Biege- und Messmaschinen entwickelt, so dass sie miteinander korrespondieren und voneinander lernen. Dadurch konnte die Fehlproduktion auf unter 3 Prozent reduziert werden. Mithilfe der Programmierung und der Erfassung der Daten in einer Datenbank konnte innerhalb von vier Monaten ein Mock-Up gebaut werden und die Maschinen wurden selbstlernend zum Laufen gebracht, erklärt Stefan Kloker, Senior Structural Engineer. Die Lösung lag darin, die finale Geometrie des gebogenen Rohres vor der eigentlichen Biegung zu dem geraden Rohr zurückzurechnen, den Biegevorgang zu simulieren, die Passgenauigkeit zu überprüfen und nach Abgleich aller Daten zu fertigen. Da jeder spezifische Datensatz gespeichert ist, ist er auch jederzeit rekonstruierbar.

Die Fassade zeigt harmonische Rundungen und perfekt parallel verlaufende Rohre. Foto: seele/Michael Vogt

Viele Faktoren wurden daher bereits in den Fertigungsprozess einbezogen: extrem kleine Toleranzen, das Materialverhalten, die Passgenauigkeit der Rohre zueinander und die Befestigung an der Unterkonstruktion. Aufgrund der Materialeigenschaften hatte man pro Rohr nur einen Versuch, die richtige Biegung sowie Torsion sicherzustellen, da ein Nachbiegen in der Maschine nicht möglich ist. Mithilfe der Überbiegung der Rohre wurde der Rückfederung des Stahls entgegengewirkt. Ebenfalls berücksichtigten die Ingenieure von seele bei der Berechnung die Markierungen sowie die Bohrung der Halterung, damit ihre individuelle Position auch nach der Biegung ersichtlich und die Bohrlöcher an der richtigen Stelle waren. Die Biegemaschine entwickelte über eine integrierte Messtechnik selbständig neue Algorithmen, auf deren Grundlage dann der jeweilige Biegeprozess durchgeführt wurde. Bei diesem Projekt entwickelte seele somit nicht nur die konstruktive Lösung, sondern auch die Softwareapplikation der selbstlernenden Maschine.

Bau der Fassade mit 350km dreidimensional gebogenen Edelstahlrohren. Foto: seele/Michael Vogt

Jedes der Rohre wurde nach präzise generierten 3D-Daten mithilfe der korrespondierenden Biege- und Messmaschinen in Form gebracht und für die Kopplung der Rohrenden verjüngt. Auch die exakte Einbaureihenfolge wurde im Vorfeld mittels Simulation am Computer festgelegt. Trotz der hohen Individualität der Rohre, wurden sie für die Anschlüsse aneinander in verschiedene Typen eingeordnet, um die Komplexität der Teile zu reduzieren. Somit ergab sich für jedes Rohr eine individuelle Gebrauchsanleitung in Form von präzisen QR-Codes und Lasergravuren, die automatisch auf jedes Rohr aufgebracht wurden. Die Unversehrtheit der Oberflächen stellte seele durch das Einzelverpacken der Rohre sicher. Dann wurden die Rohre in der für die Montage richtigen Reihenfolge in Transportkisten verpackt, die ihrerseits wieder in einer festgelegten Abfolge auf die Reise gingen. Mithilfe der QR-Codes konnten die Rohre durch das Montageteam vor Ort ganz leicht via Scanner identifiziert und die Position durch das 3D-Modell am Gebäude bestimmt werden. Jürgen Laky, Geschäftsführer seele middle east FZE, meint, dass die ganzheitlich programmierte Systematik sich durchgängig durch alle Projektphasen – von der Konstruktion, über die Fertigung bis zur Montage zieht. Effizienz und Wirtschaftlichkeit kennzeichnen den Montageverlauf vor Ort in der Wüste Saudi Arabiens, denn keines der Rohre musste aufgrund der genauen Logistik und ausgeklügelten Vorbereitung während der Montage nachgeliefert werden.

Die Hülle des King Abdulaziz Centers schmiegt sich ohne jegliche Stufen oder Kanten an das Gebäude, zeigt harmonische Rundungen und perfekt parallel verlaufende Rohre.

Seele, www.seele.com

Selbstlernende Maschinen zur Biegung und Messung der Edelstahlrohre. Foto: seele/René Müller

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