
Vor Jahren schied der Schweizer Architekt Kurt Hauenstein aus einer Zürcher Büropartnerschaft aus, um im Schweizer Kanton Graubünden mit dem atelier-f ein neues Büro zu eröffnen. Seine mit den Jahren gewonnene Ortskenntnis und seine zahlreichen Bauten und Sanierungen im kleinen Ort Fläsch und der Umgebung führten für sein eigenes Wohnhaus zu einem selbstbewussten Entwurf, der in bäuerlicher Lebenskultur gründet und mit viel Rücksicht dörfliches Leben interpretiert.




In diesem Umfeld erwarben der Architekt Kurt Hauenstein und seine Frau Marilies Düsterhaus, die vor zehn Jahren aus Zürich nach Fläsch zogen, ein Grundstück in Randlage; mit einem Gebäudebestand erbaut in einer Zeit in der die Bündner Herrschaft noch bestand. Das vermutlich Anfang des 18. Jahrhunderts erstellte Bauernhaus wurde von Hauenstein von Grund auf saniert, der ursprüngliche Grundriss mit dem engen und steilen Treppenhaus und den beiden flankierenden Räumen wieder hergestellt.

Die Ausweisung des Grundstücks als bauliches »Kerngebiet« hätte auch einen Komplettabriss mit einem mehrgeschossigen Neubau ermöglicht. Hauenstein entschied sich mit seiner genauen Kenntnis des Ortes für den Bestand und ersetzte nur die angebaute ehemalige Scheune durch einen Neubau.

Für G. W. F. Hegel ist Harmonie ein Moment, indem sich das qualitativ Verschiedene nicht nur als Gegensatz und Widerspruch darstellt, sondern »eine zusammenstimmende Einheit« bildet. Hauenstein spiegelte den vorgefundenen Grundriss des Altbaus im Hegelschen Sinn und verband diesen gestalterischen Dialog mit einem gläsernen Zwischenbau zu einer architektonischen Gesamtaussage, in der Neu und Alt selbstbewusst nebeneinander bestehen.

Den massiven Wänden des Altbaus hat der Architekt die 50 cm dicken Wände des Neubaus mit einem Gesamtaufbau aus einer innen liegenden 11 cm dicken Fichtenschalung einschließlich Unterkonstruktion mit 14 cm Dämmung und 25 cm Sichtbeton gegenüber gestellt. Der eingefärbte Ortbeton der Außenwand wurde abschließend anthrazit lasiert und zitiert nicht nur die dunkel verwitterten Fassaden alter Scheunen sondern auch die hinter dem Grundstück aufgehende schwarze Steilwand des Fläscherberges. Die Lochfassade des Neubaus hat ihre Entsprechung in den kleinteiligen Fenstern des alten Wohngebäudes. Die Fenster wurden so in die Kubatur gefügt, dass aus den nahe stehende Nachbargebäuden kein Einblick möglich ist und jedes der Fenster einen genau komponierten Ausblick in die beeindruckende Kulisse der Schweizer Alpen ermöglicht.

Auf einem als Garage genutzten Sockelgeschoss stehend, sind die beiden Wohngeschosse nur andeutungsweise unterteilt und bilden über die gemeinsame Galerie einen großen Wohnraum der im Obergeschoss von einem zentralen Kamin dominiert wird.
Nebenräume wie Bäder, Toiletten und Aufzugschacht sind im Zwischenbau untergebracht. Auch hier sind die Räume durch überraschende Ausblicke geprägt, so ist durch das gläserne Dach des oberen Bads eine Sichtmöglichkeit auf den nachstehenden Berg gegeben. Auch wenn die vorhandene, abenteuerlich steile Treppe des Altbaus nicht modernem Komfortempfinden entspricht, wurde auf ein weiteres Treppenhaus verzichtet. Zwar läuft der Bauherr diese Treppenanlage mittlerweile leichtfüßig herunter, der Besucher fühlt sich jedoch an einen bergsteigerischen Abstieg erinnert.

Bewusst lebt das Paar mit den Widersprüchen zwischen Alt und Neu. Der Bestand hätte nicht hinreichend gedämmt werden können, ohne dem Bau seinen Charakter zu nehmen. Auf eine thermische und lüftungstechnische Abschottung des Neubaus zum Altbau mit allen seinen offenen Fugen wurde verzichtet. Den »perfekten« Oberflächen im Neubau stehen die von Gebrauchsspuren gezeichneten Türen und Wandvertäfelungen im Altbau gegenüber. Vorgefundene Farbreste in der Küche wurden erhalten und konterkarieren den Perfektionismus einer mit modernsten Geräten ausgestatteten Küche mit ihrem hochpolierten Edelstahl.

Umschlossen wird das Grundstück von einer dunklen Mauer aus Stampfbeton, die den typischen Bruchsteinmauern der Gegend formal entspricht. Auch die im Ortsbild häufig vorkommenden ehemaligen Viehtränken hat der Architekt mit einem monolithisch betonierten Brunnen auf seinem Grundstück zitiert.

»Casascura«, dunkles Haus, hat das Ehepaar sein Gebäudeensemble genannt. Der in den massiven Stahl des Hoftores geschnittene Name mag zwar vordergründig den Neubau umschreiben, tatsächlich findet er seinen Ursprung im Nachnamen der Hausherrin.
Architekten: atelier-f, Fläsch (CH), www.atelier-f.ch
Bauherr: Kurt Hauenstein und Marilies Düsterhaus, Fläsch (CH)
Fotos: Jörg Zimmermann, Zürich (CH) und atelier-f, Fläsch (CH)