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Kunst bietet die Möglichkeit, subjektiv in meiner eigenen Wahrnehmung des Raums zu agieren

Design Kunst
Q_30.341, 2010 | Q_30.342, 2010 | Q_30.344, 2010 | Q_30.345, all 2010, lacquer on canvas, 46 x 37 cm Q_30.347, 2010 Lacquer on canvas 46 x 37 cm

Seine Arbeiten wecken überraschend gegensätzliche Assoziationen wie Ruhe und Geschwindigkeit, Abstraktion und Kontemplation. Reduziert auf Farbflächen zeigen diese Kunstwerke nichts anderes als geometrische Formen und Farben, Volumen und Oberflächen, die nur auf sich selbst verweisen. Er wolle die Spannung einfangen, die von Ruhe ausgeht, sagt der Schweizer Künstler Pierre Juillerat. Er versuche, den mentalen Raum zu artikulieren, der zwischen den Gedanken herrsche, den Zwischenraum zwischen Intuition und Intelligenz.

In Juillerats Arbeit fließen viele Einflüsse zusammen. Von Haus aus Architekt, hat der in Berlin lebende Künstler in unterschiedlichsten Bereichen gearbeitet, war Mitglieder verschiedener Rockbands, Fahrradkurier, Pilot. Diese Gegensätzlichkeit – oder eher Komplexität – spiegelt sich auch in seinem Arbeitsprozess wider. Frei nach dem Motto »So viel wie nötig, so wenig wie möglich« verzichtet er auf figurative Motive und reduziert seine Gemälde auf Farben und Formen. 

Seine Arbeiten tragen Titelcodes wie »B_62.6« oder »Q_46.803«, die auf Juillerats persönliches Archivierungssystem verweisen. Diese Gemälde repräsentieren nichts, sie stehen für nichts, sind kein Symbol, suggerieren keine narrative Illusion – sie sind, was auf ihnen zu sehen ist: ein Bildträger dessen Oberfläche bemalt ist mit Farben, Linien, Formen. Dieses Objekt jedoch beginnt, mit seiner Umwelt, mit dem Betrachter zu interagieren, indem es sie in den glänzenden Oberflächen widerspiegelt, in den matten verschluckt.

Gemalt auf unterschiedlichen Materialien wie Aluminiumblechen, wie sie im Flugzeugbau verwendet werden, auf Papier, Acrylglas und Leinwand mit »billigen« Industriefarben, -lacken und Harzen sehen die Arbeiten aus, als seien sie maschinell gefertigt. Massenproduktion vs. Handarbeit, Serienfertigung vs. Unikat. Farbspuren an den Kanten deuten allerdings darauf hin, dass Juillerat in der Tat manuell arbeitet: Jedes Gemälde ist einzigartig und nicht wiederholbar.

Im folgenden Interview erklärt Pierre Juillerat, was die Arbeit als Künstler für ihn bedeutet und wie sein Background in der Architektur seine Arbeiten beeinflusst.
(Essay und Interview (gekürzt) wurden im Ausstellungskatalog der Ausstellung »Perspectives on in/outside« im Dezember 2010 bei Savvy Contemporary, Berlin veröffentlicht. Übersetzung Simone Kraft)

Illustrations © Pierre Juillerat

Q_46.8038, 2010, and Q_46.8037, 2010, Pigmented ink on archival paper, 42 x 29,7 cm, Edition of 12 + 3 EA's Dated, signed © P. Juillerat

INTERVIEW

Sie sind studierter Architekt. Obwohl Sie nicht mehr als solcher arbeiten, interessiert Sie die Architektur unverändert stark. Warum Architektur?

Ich habe mich für ein Architekturstudium entschieden, weil ich daran mitwirken wollte, unsere Umwelt zu definieren. Ich war – und bin – überzeugt, dass einige unserer Verhaltensweisen direkt von den Räumen beeinflusst werden, in denen wir leben oder durch die wir uns bewegen. Soziologische Strukturen können durch architektonische Absichten bestätigt, aufgelöst oder ausgeweitet werden – und diese Mechanismen, insbesondere im urbanen Kontext, wollte ich entdecken. Auch die Machbarkeit von Entwurfs- und Entwicklungsprozessen erschien mir spannend, da ich nicht an einer rein theoretischen Herangehensweise interessiert war.

Wann kam es zur »Wende« hin zum Künstler-Sein? Welche Möglichkeiten eröffnet Ihnen die Kunst?

Ich denke nicht, dass es eine Wende gewesen ist, sondern mehr eine logische Entwicklung des architektonischen Denkens in seiner Essenz. Kunst bietet die Möglichkeit, subjektiv in meiner eigenen Wahrnehmung des Raums zu agieren, ungeachtet des Ergebnisses. Zudem ist auch die soziale Verantwortung eines Künstlers sehr viel vager als die eines Architekten, der zahlreiche Bedürfnisse zu befriedigen hat, die nicht unbedingt mit seinen eigenen Vorstellungen zu tun haben müssen. Vielleicht ist es diese graue Zone der künstlerischen Arbeit, die nötig ist, um den »mentalen Nebel« zu klären. Außerdem können auch Erfolge und Misserfolge leicht in eine experimentelle Arbeitsweise integriert werden.

Könnten Sie das Bild des »mentalen Nebels«, das Sie erwähnt haben, etwas genauer erläutern?

Es bezieht sich auf die Fragmentierung der Seele. Meiner Meinung nach kann die künstlerische Arbeit eine Möglichkeit sein, die verteilten Fragmente der Seele zu sammeln, ähnlich wie der Suche nach dem Heiligen Gral.

Wann haben Sie die künstlerische Arbeit als Ihre Ausdrucksmedium entdeckt?

1985 war ich sehr beeindruckt von einer Ausstellung neuer deutscher Expressionisten im Museum für Gegenwartskunst in Basel. Ein Gemälde von Rainer Fetting war eine Offenbarung für mich, und ich ging los und begann zu malen. Mehrere Jahre habe ich mich dieser Richtung gewidmet, die mit der Océanautes-Serie endete. Es folgte eine Übergangsphase, in der ich bewusster architektonische Elemente in meine Arbeit einführte, die nach und nach die Figuration ersetzen sollte.

Was ist das Thema Ihrer Arbeit? Was interessiert Sie besonders?

Strukturen zu dekonstruieren und zu rekonstruieren, mit intuitiven Farbnachbarschaften zu experimentieren und sie in einem anderen Kontext einzusetzen würde ich als das beschreiben, das mich interessiert. Vielleicht könnte man auch von Beschleunigung und Entschleunigung, von Verschachtelungen, räumlichen Desorientierungen, Navigation reden. Ich mag auch den Prozess des Farbauftrags auf eine Oberfläche sehr. Das Malen dreht sich um die Farbe. Daher setze ich die Farbe nicht als Medium, sondern als »Subjekt« an sich ein, um zu versuchen, die Energie reiner Farbflächen zu feiern. Ich glaube, dass diese Arbeitsweise eine Position kreiert, die nicht auf Abstraktionen der äußeren Welt beruht, sondern nur in sich selbst ruht.

Wie beeinflusst die Architektur Ihre Arbeit?

Architektur in ihrem weiteren Verständnis ist mit der menschlichen Existenz verbunden und kann nicht von meiner Arbeit getrennt werden. Für mich sind die Analyse raumdefinierender Elemente, Räume und Zwischenräume ein Ausgangspunkt für meine Arbeit. Auch nichtkonstruierte Räume, wie »mentale Räume« und Zwischenräume, beeinflussen den Prozess – etwa indem ich hinterfrage, welche Art von Räumen zwischen zwei Gedanken liegt, welche Art von Aktivität es dort gibt, wenn überhaupt, und wie man dorthin gelangen kann? Ein anderer Punkt, der von der Architektur beeinflusst wird, ist die Tatsache, dass wir uns durch Räume bewegen müssen, um sie wahrzunehmen. Ich möchte beobachten, wie automatisiert diese Bewegungen sein können. Ähnliche Gedanken beeinflussen die Darstellung von Raum in meiner Arbeit, indem ich mehrere Fluchtpunkte gebrauche, die oft außerhalb der Gemälde liegen. Parallelität und Symmetrie von Linien oder Farbfeldern werden nicht bewusst vermieden, aber sie geschehen einfach nicht.

Wie verläuft Ihr Arbeitsprozess?

Work generates work ... Eine Werkgruppe erzeugt normalerweise eine andere. Gelegentlich mache ich auch Bilder, die sich direkt auf ein konkretes Projekt beziehen, aber normalerweise kombiniere ich bereits existierende Arbeiten als Ausgangspunkte für neue Arbeiten. Fluchtpunkte und Farbsimulationen werden in Skizzen, Zeichnungen und manchmal auch mit dem Computer entwickelt. Mit dieser konstruktivistisch-konzeptuellen Vorgehensweise werden Pläne aus einer Auswahl von Vorarbeiten entwickelt. An diesen halte ich recht streng fest, wenn ich das Gemälde realisiere. Für mich kann alles Teil der Inspiration werden.

Mit welchen Materialien arbeiten Sie? Die Océanautes und die aktuelleren Arbeiten unterscheiden sich stark in Stil und Technik.

Ich mag industrielle Farben, Lacke und Wandfarbe. Für Zeichnungen benutze ich Kugelschreiber und anderes, was ich in fünfzehn Sekunden finden kann. In einer neueren Serie von Zeichnungen auf Papier kam auch Tinte zum Einsatz.

Warum diese Materialien?

Sie sind »billig«, beständig und solide. Außerdem bieten die Oberflächen eine Optik, die ich mit »Künstlerfarben« nicht erreichen würde. Zudem ist die Auswahl von Farben unendlich, was es letztlich auch teilweise unnötig macht, im Studio eigene Farben zu mischen. Und ich schätze es wirklich, mit industriellen Farbhersteller zu arbeiten. Sie sind hilfreich, um Farbschattierungen zu definieren, die auf ursprünglichen Farbfächern basieren. Die Angaben dieser nach Wunsch angerührten Farbtönen werden gespeichert und können jederzeit wieder angefertigt werden. Ich denke auch, dass der industrielle Farbauftrag Qualitäten hat, die mit manuellen Arbeitstechniken nicht erreichbar sind.

Ihre Gemälde haben Titel wie »B_62.6« und »Q_46.803«. Was bedeuten diese Titel?

Diese Titel beziehen sich auf das System, nach dem ich meine Arbeiten organisiere. Normalerweise braucht es mehrere Stufen, bevor die Entscheidung zur Realisierung eines Gemäldes oder Objekts fällt. In einer Werkserie wird jeder Schritt und jedes Unterkapitel mit einer eigenen Buchstabe-Zahl-Kombination bezeichnet, die es mir erlaubt, die Arbeitsschritte bis zum Ursprung eines Werks zurückzuverfolgen.

Pierre Juillerat, herzlichen Dank für das Interview!

Abbildungen © Pierre Juillerat, www.pierrejuillerat.com
Quelle: deconarch.com

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