Der Kunstverein Friedrichshafen zeigt bis zum 7. Februar 2021 in seinen großen Fenstern die erste institutionelle Einzelausstellung des Künstlerduos Mehmet & Kazim Akal: Le Peep-Show.
In gewohnter Manier erweitern die beiden Künstler auch für diese Ausstellung den herkömmlichen Malereibegriff, indem sie ihre Bilder aus der zweidimensionalen Fläche in den Raum hineinwirken lassen und so kulissenartige Tableaus schaffen, die den Betrachter beim Blick durchs Fenster in ihre weiß-rote Welt entführen. Diese ist eng mit den Persönlichkeiten beider Künstler verknüpft und den zahlreichen Gemeinsamkeiten ihrer Biografien. Angefangen bei der Tatsache, dass sie Cousins sind und den Nachnamen Akal teilen. Aus dem Türkischen übersetzt bedeutet dieser Weiß-Rot, was Grund genug dafür war, die Palette all ihrer bisherigen Werke konsequent auf diese beiden Farben zu beschränken.
Die künstlerische Inszenierung des familiären Bundes erfolgt durch ihr Alter Ego, die Kissing Cousins, die zum festen Figurenrepertoire gehören und auf der Leinwand, als animierte Knetfiguren in Videoarbeiten oder auch in Form von Mehmet und Kazim selbst, gekleidet in roten Adidas Trainingsanzügen und Superstars, in Erscheinung treten können. Dass ihre künstlerischen Wurzeln im Hip Hop, Breakdance und Graffiti liegen, zeigt das wiederkehrende Bildpersonal ebenso wie Zitate aus Songtexten und verschiedene Symbole, die zudem auf den Einfluss von Comics verweisen.
Bildquelle: Mehmet & Kazim Akal und Kunstverein Friedrichshafen, Fotograf: Frank Kleinbach
Und dann natürlich noch die vielleicht wichtigste aller Gemeinsamkeit: Beide sind Kinder türkischer Gastarbeiter, was auf humorvolle Weise als gegebene Realität im Subkontext ihrer Werke und der Gesamtinszenierung der Kissing Cousins mitschwingt. Nicht zu unterschätzen ist außerdem der Einfluss zahlreicher kunsthistorischer Vorbilder, allen voran Philip Guston, aber auch André Butzer, Martin Kippenberger, Markus Oehlen und Albert Oehlen sowie Peter Saul.
In Le Peep-Show zeigen Mehmet und Kazim Akal eine Auswahl aus ihrer Serie Feinste Künstleraquarelle, die während eines Urlaubs an der türkischen Ägäis zunächst auf Papier entstanden ist und in den vergangenen Monaten um großformatige Arbeiten mit Öl auf Leinwand erweitert wurde. Vom Boden bis zur Decke installiert, breitet sich ein comicartiges Panorama aus, das jedoch keine lineare Geschichte erzählt. Die einzelnen Bilder repräsentieren viel eher Symbole, die je nach Rezipienten und persönlichen Erfahrungs-werten unterschiedlich interpretiert werden können.
Bereits der Titel Feinste Künstleraquarelle deutet an, dass sich die Kunst des Malerduos thematisch nicht in den eigenen Biografien erschöpft. Mit immerwährendem Humor werden der Kunstbetrieb und seine immanenten Strukturen und Codes in Augenschein genommen. So könnte der Titel der Serie dem Newsletter einer Galerie entnommen sein, die eben „feinste Künstleraquarelle“ zum Verkauf anpreist. Die Ernsthaftigkeit des ökonomischen und kommerziellen Aspekts des Kunstbetriebs wird somit von den beiden Akal-Jungs immer wieder ironisch gebrochen.
Ähnlich verhält es sich auch mit den Arbeiten Selbstportrait #4 (2020) und Zwei Wilde auf dem hohen Ross #2 (2020), in denen sie sich klassischer Sujets bedienen. Anstatt eines Gesichts, ist in Selbstportrait #4 jedoch ein stilisierter Po zu sehen. Zwei Wilde auf dem hohen Ross #2 bricht insofern mit historischen Reiterbildern, als dass das Pferd alles andere als herrschaftlich aussieht und eher an Jolly Jumper, das Pferd von Lucky Luke, erinnert.
Auch der Titel Zwei Wilde auf dem hohen Ross #2 lässt vermuten, dass das hohe Ross eine Personifikation der Bildenden Kunst ist und so mischen sich die eigenen Biografien mit den Konventionen des Kunstbetriebs. Mussten die beiden Künstler doch bereits während ihrer Zeit als Studenten an der Münchener Kunstakademie feststellen, dass innerhalb der Bildenden Kunst der künstlerische Gehalt von Graffitis eher gering eingeschätzt wird.
Dass Humor und Ironie Stilmittel der beiden Maler sind, wird aber auch deutlich, wenn sich die zwei in Meanwhile at the Beach (2020) im Meer stehend mit einem Fes auf dem Kopf selbst porträtieren. Dazu muss man wissen, dass der Fes im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts durch eine Reform eingeführt wurde, die dem traditionellen Turban einen am Westen orientierten Kleidungsstil entgegensetzen sollte. Heutzutage ist der Fes wohl wie kein anderes Kleidungsstück ein Symbol für das Osmanische Reich und den Orientalismus, so dass sich – ironisch genug – Intention und Wirkung im historischen Verlauf umgekehrt haben. Hier zeigt sich außerdem, dass Mehmet und Kazim Vorurteile und Klischees, die ihnen beziehungsweise ihrer Identität als Deutsch-Türken entgegengebracht werden, nicht mit einem moralischen Zeigefinger begegnen, sondern dass sie diese mit Kussmund und schelmischem Witz als das entlarven, was sie sind – eben nichts mehr als eigentlich längst überholte Stereotypen.
Bildquelle: Mehmet & Kazim Akal und Kunstverein Friedrichshafen, Fotograf: Frank Kleinbach
Neben der inhaltlichen Fülle der Werke, gilt ein großes Interesse des Duos rein malerischen Fragestellungen und so wird das Medium kontinuierlich zu allen Seiten hin erweitert und auf die Probe gestellt. Mal, wie in Le Peep-Show, durch raumgreifende Installationen, mal durch Wandmalereien, Projektionen oder auch durch animierte Virtual Reality-Videoarbeiten.
Außerdem lässt sich bei der Verwendung von unterschiedlichen Malstilen und -materialien eine große Experimentierfreude erkennen. Motive werden mit Stoffen auf die Leinwände collagiert und einem pastosen, grafisch anmutenden Farbauftrag früherer Bilder wird nun mit den Feinsten Künstleraquarellen ein hauchzarter, äußerst malerischer Duktus entgegengestellt. Immer wieder wagen Mehmet und Kazim Akal so aus ihrer eigenen Position und Erfahrungswelt heraus einen Blick auf die Malerei und das große Ganze.
Mehmet Akal (*1991) und Kazim Akal (*1981) haben ihr Studium der Malerei, Skulptur und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste München bei Prof. Markus Oehlen absolviert. Ihre Werke wurden u.a. in der Pinakothek der Moderne, München, im Haus der Kunst, München, im Kunstverein Marburg, bei Ansbach Contemporary, Ansbach und Syker Vorwerk, Syke gezeigt. 2019 haben sie im Rahmen ihres Diploms den Preis des Akademievereins erhalten und 2020 ein Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds.
Informationen zum Kunstverein Friedrichshafen auf www.kunstverein-friedrichshafen.de