Wer durch den Chemnitzer Sonnenberg spaziert, trifft früher oder später auf sie: die Casa Rossa. Mit ihrer markanten Backsteinfassade wirkt sie auf den ersten Blick wie ein Relikt vergangener Zeiten – und ist doch ein hochaktuelles Beispiel dafür, wie nachhaltige Architektur heute gedacht werden kann. Zwischen roher Substanz und liebevoller Sanierung steht dieses Haus sinnbildlich für eine Haltung: Umbauen ist mehr als nur Erneuern – es ist ein kultureller Akt.
Der Sonnenberg galt lange als das Sorgenkind unter den Chemnitzer Stadtteilen. Leerstand, Verfall, Wegzug – ein düsteres Kapitel, das in den 1990er Jahren seinen Tiefpunkt erreichte. Wer damals durchs Viertel ging, sah kaputte Fenster, verwahrloste Dächer und bröckelnde Fassaden. Doch Veränderung beginnt oft dort, wo andere schon aufgegeben haben. Und so wurde der Sonnenberg zum Labor für alternative Stadtentwicklung – mit der Casa Rossa als leuchtendem Beispiel.
Hinter dem Projekt stehen die Architekten Annette Fest und Christian Bodensteiner, die sich hier nicht nur planerisch, sondern auch als Bauherren engagierten. Ihr Ziel: nicht einfach zu modernisieren, sondern den Charakter des Hauses zu erhalten – sichtbar, spürbar, erfahrbar. Die Entscheidung, auf Bestand statt Abriss zu setzen, war dabei keine nostalgische Geste, sondern ein bewusster Beitrag zur Bauwende. Denn nachhaltiges Bauen beginnt oft mit dem, was schon da ist.
Ein zentrales Element des Projekts sind die roten Reichsformatziegel – manche noch original erhalten, andere ausgebaut und wiederverwendet. Sie stammen vermutlich aus einer historischen Ziegelei im Viertel und geben dem Gebäude nicht nur seinen Namen, sondern auch seine unverwechselbare Ausstrahlung. Die Jury des Heinze Awards würdigte das Ergebnis als „archaisch kraftvoll“ und als beispielhafte Form ressourcenschonender Baukultur.
Das gestalterische Konzept lebt vom Spannungsfeld zwischen rau und fein, eng und weit. Kleine Bäder treffen auf großzügige Wohnräume, rohe Oberflächen auf feine Details. Besonders eindrucksvoll: das neu geschaffene Maisonettegeschoss mit Galerie und Terrasse – ein Raumwunder unter dem Dach. Hier zeigt sich, wie aus Resten von gestern neuer Wohnraum für morgen entstehen kann.
Mit der gleichnamigen Publikation „Casa Rossa Chemnitz“ legen die Architekten eine detaillierte Dokumentation dieses Prozesses vor – erschienen im Deutschen Architektur Verlag. Das Buch erzählt von Herausforderungen und Lösungen, Rückschlägen und Aha-Momenten. Es richtet sich nicht nur an Fachleute, sondern an alle, die sich für Baukultur, Nachhaltigkeit und Stadtentwicklung interessieren. Bildstark, hintergründig und anschaulich lädt es ein zum Nachdenken – und Nachmachen.
Besonders eindrucksvoll: die „Hausbesetzung für 48 Stunden“ kurz vor Fertigstellung. Das Haus wurde zur Bühne – für Musik, Gespräche und Begegnungen. Für ein Wochenende wurde aus der Baustelle ein Ort der Öffentlichkeit. Architektur, die Menschen zusammenbringt – auch das gehört zum Selbstverständnis der Casa Rossa.
Die Bilder im Buch stammen von Steffen Spitzner für bodensteiner fest, bodensteiner fest und Leonie Fest.
Casa Rossa Chemnitz
Ein Beitrag nachhaltiger Baukultur Herausgeber bodensteiner fest
Mit Beiträgen von Bgm. Michael Stötzer, Maria Meinel, David Kasparek, Sabine Hausmann und Martin Neubert, Katharina Lichtner, Annette Fest und Christian Bodensteiner
Deutsch / Englisch, 228 Seiten, 248 Fotos, 32 Pläne 17 x 26 cm, Softcover, 2025 Deutscher Architektur Verlag, ISBN 978-3-946154-90-7, 58 €
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